Geständnisse eines Küchenchefs / Bourdain, Anthony

 

Wir sehen oft die Fernsehwerbung mit dem bäuerlich aussehenden Mädel, das liebevoll und langsam rot-bläuliches Früchtemus unter den cremigen Joghurt rührt. Wir möchten dieses schöne Bild gerne glauben, obwohl wir genau wissen, dass es keine Firma gibt, die täglich hektoliterweise Landliebe-Joghurt von bäuerlich aussehenden Mädels mit Früchten mischen lassen wird. Und das in kleinen, hellen Keramik- Schüsseln.

So ähnlich geht es uns allen zuweilen in Restaurants. Da wird lecker dampfend aufgetischt und vor dem geistigen Auge erscheint jemand mit dem Aussehen unserer lieben Oma, die voller Sorgfalt die Kartoffeln schälte und liebevoll einen Extra-Klecks Sahne oder gute Butter in die Soße gab. Aber auch hier wissen wir, dass unsere liebe Oma nicht in dieser Küche werkelt und befürchten, dass es beim Kochen noch wesentlich unromantischer zugehen könnte als in einer sterilen Edelstahl-Joghurtfabrik.

Die ‚Geständnisse eines Küchenchefs’ belegen, dass wir mit unseren Befürchtungen richtig liegen, dass alles noch viel schlimmer ist. Das vorliegende Buch verheißt entlarvende Blicke hinter die Küchentür und verspricht dem Leser brauchbare Tipps und wichtige Warnungen für künftige Restaurantbesuche. So nach dem Motto: Meeresfrüchte niemals montags, Schwertfisch niemals – wegen der Würmer!

Es gibt 6 Kapitel, die aber halb-originell nicht Kapitel 1 bis 6 heißen, sondern Amuse Geule, Erster Gang, Zweiter Gang bis zum Dessert. Wie witzig!

Der Autor ist Amerikaner, was sich leider im Schreibstil unangenehm bemerkbar macht. Statt einfach sofort zu schreiben, was der Leser erfahren soll, beginnt es mit langatmigem ‚Sie werden erfahren’ und ‚Ich werde berichten’.
Irgendwann beginnt dann doch die Biographie und man erfährt, dass der Autor durch eine Art Ekeltherapie zum Koch wurde, indem er sich vor Eltern und Bruder anbot, auch die widerlichsten Sachen zu verkosten. Zum Beispiel rohe Austern. Die fand er toll.
Ich finde ja, sie schmecken wie schleimgewordene Nordsee. Aber sie sollen gut für die Manneskraft sein, heißt es. Dann doch lieber Sellerie!

Anthony Bourdain beschreibt seinen Werdegang als Küchenhilfskraft und Koch in aller Breite und recht unterhaltsam, für Restaurantbesucher nützliche Tipps bleiben jedoch rar und beschränken sich hauptsächlich auf die erwähnten: Meeresfrüchte niemals montags, Schwertfisch niemals! Das steht aber schon auf dem Klappentext, dafür braucht niemand das Buch.

Interessant ist das Werk vielleicht als soziologische Studie, denn in Amerika scheinen alle Mitarbeiter der Gastronomie schwer gestrandete Asoziale zu sein, das gilt auch für den Autor. In den Küchen wimmelt es von Alkoholikern, Heroinsüchtigen, Kriminellen und aufdringlichen Schwulen. Ein ‚normales’, bürgerliches Leben führt wohl niemand, was angesichts der geschilderten Stress-Situationen allerdings auch nicht wirklich verwundern kann. Es verwundert eher, dass angesichts der vielen abgerissenen Typen überhaupt noch ein annehmbares Gericht auf den Teller des Gastes kommt.

Bourdain aalt sich in Beschreibungen von Drogenexzessen, niederen Instinkten und schlichtem Dreck. Vorzüglich gelingt ihm die Beschreibung von höchst druckvollen Arbeitsabläufen in großen Restaurantküchen, so furchtbare Sachen kann man sich als normaler Steakesser gar nicht ausmalen. Ab und an kommt der Lesefluss ins Stocken, es werden doch viele Fachbegriffe (mise-en-place oder auch boudin noir) verwendet, die nicht jedermann geläufig sind.

Die mit teils sehr drastischer Wortwahl geschilderten menschlichen Abgründe sind so enorm tief und so unglaubwürdig, dass ich dazu neige, sie dem New Yorker Koch abzukaufen. Zumal nicht mit dem Finger nur auf andere, finstere Gesellen gezeigt wird sondern auch die eigenen Heroin- und Kokainabstürze in grellen Farben beinahe lustvoll ausgemalt werden. Jemand, der gerne Koch werden möchte, könnte durch diese Lektüre leicht von seinem Vorhaben abgebracht werden, Abschreckung wird überreichlich geboten. Allerdings scheint bestimmte Menschen diese Art des Lebens – um nicht zu sagen: ‚Vegetierens’ - zu faszinieren, sie möchten auch so arbeiten und kämen mit einem gewöhnlichen nine-to-five-job vielleicht nicht gut zurecht. Man muss sich wohl auch nicht so sehr anpassen wie in anderen Berufen, der Umgangston ist rau, die Fluktuation ist sehr hoch und angesichts der lächerlich geringen Bezahlung findet sich immer ein Küchenarbeitsplatz.

Der Autor hat es buchstäblich vom Tellerwäscher zum respektablen Koch gebracht, wenn auch auf einem für Uneingeweihte kaum nachvollziehbaren Weg. Insoweit sind diese Geständnisse für ein wohliges Gruseln gut und auch dafür, dass der geneigte Leser sein eigenes Dasein nicht mehr ganz so öde und schlecht findet. Aber brauchbare Hinweise für Besuche von Gaststätten sind doch sehr, sehr dünn gesät, da hatte ich mir mehr erhofft.

Wenigstens habe ich jetzt schwarz auf weiß, dass in der Küche niemand sitzt, der wie meine Oma aussieht, voller Sorgfalt Kartoffeln schält und liebevoll einen Extra-Klecks Sahne oder gute Butter in die Soße gibt. Mir bleibt so lange noch die schwache Illusion eines von bäuerlich aussehenden Mädels handgerührten Fruchtjoghurts, bis irgendwann auch der Landliebe-Direktor seine sexdrogendurchtränkten Geständnisse in einem Buch niederschreibt.

 

 

 
 
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