Genial kochen mit Jamie Oliver: The Naked Chef - Englands junger Spitzenkoch

 

 

 

Schon in der Schule lernte ich, dass Vorurteile unschön sind. Und so legte ich alle denkbaren Vorurteile gegen Menschen anderer Hautfarbe, Schwule, Rothaarige und Ungläubige einfach ab. Meine vorgefasste Meinung gegenüber den Kochversuchen der britischen Küche konnten mir lange Schuljahre aber niemals abgewöhnen.
Immer wieder blitzte dunkles, vorgestriges Denken in mir auf. Sei es in London nach einer Portion Fish’n Chips mit viel Essig oder in Folkstone nach einem kühlen Lammbraten in sämiger Minzsoße an halbgaren Kartoffeln. Warmes und beinahe kohlensäurefreies Bier ließ längst verdrängt geglaubte Vorurteile aufkeimen. Einzig die Mulligatawny und ein paar scharfe Sößchen sind für verwöhnte Gaumen erträglich.
Daran fühlte ich mich erinnert, als mir ein Freund ausgerechnet das Kochbuch des britischen Fernsehkochs Jamie Oliver empfahl – dessen Kochsendungen gibt es auf dem Intellektuellen-Kanal RTL 2. Kochkunst statt Kriegskunst von der Insel ? In stillem Gedenken an meine Schulzeit erwarb ich dieses Werk nahezu vorurteilsfrei für knapp 25 Euro.
Dafür erwartete ich dann genial einfache Rezepte, aber die gebotenen waren nur einfach und kaum vom Geist der Genialität bestäubt.

Beispiel Fischstäbchen-Sandwich:
‚Zuerst nehme ich 4 Fischstäbchen aus dem Tiefkühlfach und grille sie unter dem Backofengrill auf jeder Seite goldbraun und knusprig. Inzwischen bestreiche ich 2 Scheiben Weißbrot mit Butter und eine Scheibe noch üppig mit Ketchup. Wenn die Fischstäbchen gar sind lege sie auf die auf die Brotscheibe mit dem Ketchup.’
Da ist der geübte Gourmet platt. Hat er sich doch über Jahre mit getrüffelten Medaillons vom Seeteufelfilet an püriertem Zweierlei vom Zander versucht, anstatt einfach Iglos Fischstäbchen in ein Brötchen mit Ketchup zu stopfen.
 

 


Herrn Oliver hätte ein Blick in die vergleichsweise preisgünstigen Werke des Dottore Oetker nicht geschadet. Dort sind sich nicht nur genaue Zutaten samt Zubereitungshinweisen aufgelistet, sondern es finden sich auch alle Zutaten bei der Zubereitung wieder. Völlig überrascht musste ich beim Nachkochen von Olivers Zitronen-Speise feststellen, dass mein halber Teelöffel Backpulver aus der Zutatenliste dann wohl doch nicht benötigt wird. Wenigstens war die Speise genießbar.

Ein geschmackliches Desaster offenbarten die ‚Sommerfrüchte in Gelee mit Holunderblütenlikör und Prosecco’. Das war zwar einfach und schnell zubereitet, schmeckte aber trotz exakter Dosierung viel zu wenig süß und viel zu alkoholisch. Von den versprochenen Kohlensäure-Perlchen waren im Gelee auch keine zu finden. Ich musste dieses Dessert, das nach Olivers Worten ‚toll’ ist und ‚einfach prima schmeckt’ trotz hochwertiger Zutaten in der Bio-Tonne entsorgen.

Bahnbrechend und für Sterne-Köche völliges Neuland dürfte das Joghurt-Eis sein, angeblich ‚wirklich lecker und erfrischend’. Es besteht aus 300g Tiefkühl-Früchten, 500g Joghurt und 2 Esslöffeln Honig. Das ganze wird im Mixer zerkleinert und vermischt – fertig. Witzigmann soll sich sein Lehrgeld wiedergeben lassen, hätte ihm auch einfallen können.

Von der Zubereitung einer ‚leckeren Pastete’ namens ‚Steak-und-Guiness-Pie’ habe ich abgesehen, schließlich sind Rindersteaks nicht ganz billig.

Meine kleine Auswahl mag zeigen, dass sich die 25,- Euro für das Elaborat des englischen Spitzenkochs allein wegen der Rezepte sicher nicht lohnen. Wegen der Photos übrigens auch nicht. Teilweise wurden Speisen lieblos und unscharf abgebildet, teilweise sieht man auch nur den Meister selbst mit oder ohne Freundin, mit oder ohne Gemüse. Oder eislutschende Kinder. Oder Kuchen backende Kinder in Schwarz-weiß. Vielleicht ist das avantgardistisch, so wie dereinst Beuys’ Fettstuhl.
Wenigstens das Inhaltsverzeichnis ist akzeptabel, gebackenes Lamm ist sowohl unter ‚Lamm’ als auch unter ‚gebackenes Lamm’ auffindbar.

Aber Jamie Oliver geht es nicht ausschließlich um die Vermittlung genialer Rezepte. Er möchte seine Leser gern erziehen und an seinen Lebensweisheiten teilhaben lassen.
‚Man tut sich selbst viel Gutes, wenn man Kräuter zum Kochen verwendet – also los: Machen Sie sich auf die Suche nach Ihren persönlichen Lieblingskräutern!’, ruft er dem Leser zu und verbreitet Aufbruchstimmung.
Mit erhobenem Zeigefinger werden Eltern altklug belehrt, wie sie ihre Kinder behandeln und an die geniale Kochkunst des Meisters heranführen sollten.

Vorurteile sind eine unschöne Sache. Darum lernt auch jeder Schüler, dass er keine haben sollte. Eine noch schlimmere Sache sind Vorurteile, wenn sie bestätigt werden. Die sich überschlagende Kritik für Olivers Machwerk und die exorbitant hohen Verkaufszahlen sind für mich als gewöhnlichen Kochbuchnutzer völlig unverständlich. Vielleicht wollen sich die Kritiker und Konsumenten auch nur von der Schuld, die sie mit vorgefassten Meinungen über britische Kochkunst auf sich luden, freikaufen. Ein fürwahr nobles Motiv. Aber Engländer können wirklich nicht kochen.

 

 
 
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